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"Notfall! Die Gurte auf! Alles liegen lassen! Raus! - Hier her! Springen! Rutschen!..."

Ich glaube, diese Worte werden Flugreisenden in ihrem Leben niemals hören, zum Glück. Auch wenn Fliegen mit das sicherste Transportmittel ist, kann es trotzdem zu Zwischenfällen und Unglücken kommen. Die Crews sind dafür trainiert, doch wie sieht es mit uns Passagieren aus? Hier ist der Bericht eines Notfalltrainings.

Jeder hat es sicher selber schon gemerkt, dass man die Sicherheitsdemo nur als lästiges Übel nebenbei wahrnimmt, weil man mit einer Zeitung abgelenkt ist, oder man die Sicherheitskarte alibimäßig schnell überfliegt. Wird ja schon nichts passieren!

Mir geht/ging es da auch nicht wirklich anders. Ich dachte zumindest bis vergangenes Wochenende, dass es ja alles gar nicht so schwer sein kann. Man hat ja alles schon ein paar hundertmal gesehen hat und zum Beispiel ist das Anziehen einer Schwimmweste ja ganz leicht...

Nichtsahnend sitze ich, zusammen mit 14 anderen Vielfliegern, angeschnallt in einem  Airbus A320 Full-Motion-Simulator. Wie vor einem normalen Flug bekommen wir das normale Passagierbriefing von unseren beiden Trainerinnen. Wir werden mit dem Sicherheitsgurt, der Lage der Notausgänge, den Sauerstoffmasken und dem Gebrauch der Schwimmwesten vertraut gemacht. "Nichts neues", denke ich mir, "das weißt du ja eh schon." Wie auch sonst vor einem Flug, schaue ich mir die Sicherheitskarte an. Da der A320 mir vertraut scheint, schenke ich ihr dieses Mal nicht sonderlich viel Bedeutung. Zumal nicht alle Sicherheitsdemos so nett gemacht sind wie folgendes Beispiel:

Ebenfalls habe ich mir angewöhnt, einmal unter den Sitz zu greifen, um nach der Schwimmweste zu tasten. Sie ist da und ich bin beruhigt. Ich habe auch immer wieder festgestellt, dass der Verschluss vom Sicherheitsgurt mal nach links und mal nach rechts aufgeht. Ich  bin aber darauf gepolt, dass ich den Verschluss immer mit der rechten Hand öffne, wo ich dann halt manchmal ans geschlossene Ende greife und den Verschluss nicht aufbekomme. Daher präge ich mir inzwischen explizit die Hand zum Öffnen ein. Wie ich am Ende eines Fluges merke, hilft das auch in 99% der Fälle, sodass ich mit der richtigen Hand zum Verschluss greife.

Fertig zum Start. Man vergisst schnell, dass man nur in einem Simulator. Wir werden mit" nettem Service, einer Umfrage, was uns denn von der Sicherheitsdemo im Kopf geblieben ist und dem Thema Turbulenzen abgelenkt. Bei der Umfrage habe ich sinnigerweise mehrfach das Thema "Schwimmweste" erwähnt. Ansonsten genieße ich den "Flug" und freue mich über die simulierten Turbulenzen.

Plötzlich geht das Licht aus und es ertönt aus dem Dunkeln das Kommando "Schwimmwesten an!". Das Überraschungsmoment ist echt gelungen. Wir werden angezählt (20 Sekunden? - ich weiß es nicht mehr, weil es für mich zur Nebensächlichkeit wurde) bis wir die Schwimmweste anhaben sollten.

Nach einer kurzen Schrecksekunde und einem Adrenalinstoß greife ich unter den Sitz. Ich versuche ruhig durchzuatmen und mich an das vielmals gesehene zu erinnern. Ich zehre an dem roten Band um die Sitztasche, in der die Schwimmweste liegt, aufzubekommen und es will mir einfach nicht gelingen. Ich ziehe nach vorne, ich ziehe nach unten, doch es will mir einfach nicht gelingen. Es folgt ein leichter Anflug von Panik. Das Zählen nähert sich dem einstelligen Bereich. Nachdem ich endlich das Pack mit der Weste in der Hand halte, stehe ich vor dem nächsten Problem, dass ich rein nach Gefühl die Umverpackung öffnen muss (bei den original verschweißten Packs stelle ich mir das übrigens noch einiges schwerer vor als bei den Demo-Westen, welche in einer Stofftasche mit Klettverschluss sind). Vor allem rechnet man nicht unbedingt damit, da bei vielen Airlines gar nicht auf die Umverpackung hingewiesen wird (bei der Sicherheitsdemo einmal eine eingeschweißte Schwimmweste zu zeigen, wäre schon sehr hilfreich).

Ich halte endlich die Weste in der Hand und stehe vor dem nächsten Problem, wo ist vorne, wo ist hinten, gibt es eine bestimmte Seite die oben sein muss und wo ist dieses verdammte Loch, wo der Kopf durch muss. Weitere Sekunden verrinnen, bevor ich mein Glück probiere und meinen Kopf irgendwo durchzustecken, wo ich denke, dass er da hingehört.

Schon stehe ich vor dem nächsten Problem. Es geht auf die Suche nach dem verdammten Band, was ich um meinen Körper wickeln muss und wo ist dieser blöde Verschluss daran.  Zudem merke ich, dass ich mir nicht gemerkt habe, welche Verschlussvariante diese Weste hat. Ich finde etwas, was sich richtig anfühlt und führe es um meinen Körper. 3, 2, 1, vorbei. Kurz bevor ich den Verschluss finde und einrasten kann, ist die Zeit abgelaufen.  Und es wird zum Glück wieder hell in der Kabine.

Die wenigsten von uns haben es wirklich in der Zeit geschafft, das größte Problem bestand echt darin, die Schwimmweste unter dem Sitz hervorzuholen. Außerdem macht man sich unnütz Gedanken über den richtigen Sitz der Weste, da es keine richtige Ober- oder Unterseite gibt, aber auch das erfährt man als Passagier vorher ja nicht. Sehr erfreulich verlaufen die weiteren Blindversuche.

Später geben alle Teilnehmer zu, dass sie dieses Thema wirklich unterschätzt haben und niemals damit gerechnet hätten, dass es doch so Probleme bereitet. Noch gestrafter war übrigens der "Papa", der auch noch auf sein Infant aufpassen musste und wirklich sehr große Probleme hatte, diesem die Infant-Weste anzuziehen.

Wir "landen" wieder und besprechen noch einmal den genaueren Gebrauch der Schwimmweste und bekommen gezeigt, was man mit der Schwimmweste machen muss, damit sie auch Kindern passt. Zwei aus unserer Gruppe dürfen nun auch mal eine scharfe Weste aufblasen. Innerhalb kürzester Zeit füllen sich die zwei Kammern, beim Expandieren des Füllgases kühlt dieses die Weste ziemlich ab. Man sollte sich also nicht erschrecken, wenn es kalt am Hals wird. Außerdem können wir nun noch einmal die berühmten roten Plastikschläuche zum Luft ablassen und aufblasen ausprobieren.

Es geht erst einmal zurück in den Schulungsraum, wo es noch einmal zurück zum Thema Turbulenzen und (zu) schweres Handgepäck geht. Wir sehen ein paar eindrucksvolle und nachdenklich stimmende Bilder. Eine Maschine, die während des Fluges stark abgesackt ist, ist in der Kabine stark beschädigt. Zum durch Flugbegleiter, welche ungesichert in der Kabine waren, und abhoben, dabei durch die Plastikverkleidung der Kabine schlugen und entsprechende Verletzungen davon trugen. Zum anderen "Geschosse", welche sich ganz normal in der Kabine befinden können. Eine Wasserflasche wurde so dermaßen beschleunigt, dass sie ebenfalls durch die Deckenverkleidung stieß und dort stecken blieb. Die Beschleunigungskräfte, die im Flug entstehen können sind gewaltig und betragen bis zum neunfachen der Erdbeschleunigung in vertikaler Richtung. Was genau das bedeutet, dürfen wir selber spüren. Es stehen zwei Taschen in der Mitte des Raumes, eine wiegt leichte zwei Kilo. Das Gewicht der anderen entspricht dem bei maximaler Beschleunigung.

Der Appell kam schon bei uns an. Aber ich denke dennoch, dass niemand von uns sein Verhalten ändern wird und weniger Handgepäck mit in die Kabine nimmt. Und dieses schon gar nicht sicher unter dem Vordersitz verstaut wird, wo man dann keinen Platz mehr für die Füße hat, sondern es nach oben in die Bins legt. Nicht ganz unschuldig daran sind aber ja auch die Airlines selber, wo immer häufiger das aufgeben von Gepäck nicht mehr umsonst ist und man daher gerade auf kurz Trips, schon mit Handgepäck auskommen kann.

Ein zweites Thema, wo es doch leichte Differenzen zwischen Trainerinnen und Passagieren gab, war die Handybenutzung. Auch hier der Appell, das Handy bis zum Verlassen des Flugzeuges ausgeschaltet zu lassen, da hauptsächlich der Funkverkehr gestört werden kann. Warum Passagiere auch hier nicht so ganz einsichtig sind, lässt sich einfach damit erklären, dass es mal wieder verschiedene Vorschriften gibt. In den USA ist man weniger restriktiv als in Deutschland, wenn dort die Flugzeuge nicht gefährdet sind, warum sollten sie es dann hier sein?

Nachdem diese zwei unendlichen Geschichten abgehandelt sind, geht es zum nächsten spannenden Thema: die Evakuierung. Eindrucksvoll ist das Video vom Evakuierungstest der Fokker 100 vor der Zulassung. Hier das Beispiel am Airbus A380.

Nun geht es endlich zurück in die Mock-up-Halle. Wir gehen dieses Mal "an Bord" einer Boeing 737. Denn natürlich durfte am heutigen Tag auch das Rutschen nicht fehlen (mal ganz ehrlich, darauf haben wir uns alle doch am meisten vorher gefreut). Relativ gesittet ging es zunächst aus der B737 hinaus. Ab einem gewissen Punkt denkt man gar nicht mehr groß nach. Man gehorcht dem Kommando "Springen! Rutschen!" und springt einfach nur nach vorne auf die Rutsche. Hoch ist es aus der B737 ja nicht wirklich, der heiße Hintern hält sich somit auch in Grenzen. Es macht einfach riesigen Spaß, der leider nur ein paar Sekunden dauert. In der nächsten Runde wird nochmal das Tempo ein wenig gesteigert und wir quasi aus dem Flugzeug gebrüllt. Inzwischen hat die Notrutsche schon ein wenig von ihrem Schrecken bei mir verloren. Man sollte Respekt haben, aber Angst braucht man keine zu haben.

Ein weiteres wichtiges Thema ist der bei Passagieren stets beliebte Notausgang(splatz). In Kurz- und Mittelstreckenmaschinen handelt es sich dabei ja hauptsächlich um Fensterausgänge, welche vom Passagier geöffnet werden müssen. Die meisten sehen doch einfach nur die Bequemlichkeit, die von mehr Beinfreiheit ausgeht und die nicht Verantwortung, die ebenfalls an diesem Platz hängt. Daher war der Selbstversuch zum Üben doch recht sinnvoll.

Vorweg noch eine Bitte: Auch wenn ihr neugierig seid, lasst die Finger von den Öffnungsmechanismen sofern ihr von der Crew nicht ausdrücklich dazu aufgefordert werdet (da es den Flug doch um einiges teurer machen wird, falls ihr dadurch unabsichtlich den Ausgang öffnet und die Rutsche abgeschossen wird).

An sich ist die Bedienung nicht wirklich schwer. Zunächst sollte man den eigenen Sicherheitsgurt öffnen, denn mit Fenster auf dem Schoß wird dieses fast unmöglich sein. Danach blickt man hinaus um die Bedingungen zu prüfen. Bei Feuer und Rauch darf hier keine Evakuierung erfolgen. Ist das Aussteigen sicher, so entfernt man die Abdeckung, hält mit der einen Hand das Fenster am unteren Griff fest und zieht den oberen Hebel nach unten. Das Fenster fällt nun leicht nach innen. Die 15kg des Airbus A320 Fensters sind doch recht viel und sehr unhandlich und es stellt sich wirklich die Frage, was man mit dem Fenster in der Hand machen soll. Rauswerfen ist wenig praktikabel (wenn auch manchmal gefordert) und das Fenster auf einem Sitz ablegen, kann auch zu Problemen führen, wenn dort noch Leute sitzen. Bzw. falls man vor einer Notausgangsreihe sitzt, sollte man im Notfall damit rechnen, dass man das Fenster abbekommen kann. Ebenso scheint ein großes Problem zu sein, dass man tierisch Probleme bekommt, sobald man zu langsam mit dem Öffnen ist und andere Passagiere in Panik in die Reihe drängen (beim Evakuierungstest der Fokker konnte man dies deutlich sehen), da man nach innen Platz braucht. Nach dem Öffnen des Fensters wird automatisch die Notrutsche aufgeblasen, sollte dies nicht der Fall sein, kann man das Aufblasen manuell durch ziehen am roten Griff auslösen. Beim Aussteigen die Reihenfolge Bein, Kopf/ Körper, Bein anwenden.

 

Eleganter gelöst ist das bei Boeing in der 737NG (-600, -700, -800 und -900), wo sich der Overwing Exit sehr leicht öffnen lässt. Nach dem Entfernen der Abdeckung zieht man ebenfalls  an einem Hebel nach unten. Allerdings wird hier das Fenster automatisch nach außen aufgeklappt, wozu kein weiterer Kraftaufwand nötig ist.

Wenig komfortabel ist dann allerdings das Abrutschen über die ausgefahrenen Landeklappen und je nach Bodenbegebenheit kann das Aufkommen am Boden sicher eine schmerzhafte Angelegenheit werden. Zudem muss darauf geachtet werden, dass die Landeklappen die Landung überstanden haben, ohne dass scharfe Kanten entstanden sind. Mir hat das einmalige Tragflächenrutscherlebnis jedenfalls gereicht. Hier zeigt sich schon mal deutlich, wie wichtig es einfach ist, dass  man bei einer Evakuierung aktiv unten (hier an den Landeklappen, gilt natürlich auch für die Rutschen) hilft. Man also die ankommenden Leute abfängt, stützt und zur Seite wegschickt. Dabei nicht vergessen, dass die Helfer abgelöst werden, da es doch anstrengend ist. Das folgende Video zeigt das Verlassen über die Tragfläche bei einer Übung:

Video leider nicht mehr verfügbar

Als nächstes geht es dann noch auf den Boeing 767 Doortrainer, die Höhe ist doch schon etwas größer im Vergleich zur 737, die Rutsche hat auch zwei Bahnen und nicht nur eine. Auch hier denkt man beim Angeschrienwerden nicht mehr weiter über die Höhe nach und springt einfach hinaus. Im Gegensatz zur 737, ist das Rutschen hier ziemlich langsam. Manche bleiben sogar vor Ende der Rutsche "stecken". Thema Kleidung. Ich fand es ganz lustig, dass es auf halber Höhe bei mir anfing zu britzeln und meine Haare hochstanden und ich mich anfing aufzuladen. Am Ende der Rutsche habe ich dann den Helfern erstmal einen netten Stromschlag erteilt. Aber um noch einmal ernsthaft etwas zur Kleidung zu sagen. Wenn man in Zukunft "sicher" eine Evakuierung überstehen will, sollte man schon nicht in kurzen Hosen oder mit Flipflops ins Flugzeug steigen. Angebracht wäre festes Schuhwerk, was man erst nach dem Start ausziehen sollte, eine lange Hose und ein langes Oberteil aus einem nicht synthetischen Stoff. Doch ob man sich so auf etwas, was einen wahrscheinlich nie treffen wird, vorbereitet, ist die andere Frage.

Zum Abschluss dieses erlebnisreichen Tages gibt es noch eine Evakuierung aus dem Airbus A320 Simulator, wo es nach Durchfliegen eines Gewitters scheinbar zu Elektronikstörungen kommt und wir somit im Dunkeln  landen und evakuiert werden. Im Prinzip läuft es schon recht routiniert bei uns ab.

Kurzum, es war ein sehr lehrreicher aber auch spaßiger Tag. Ich hoffe zwar, dass ich das gelernte niemals anwenden muss aber für den Fall des Falles, fühle ich mich schon ein wenig besser vorbereitet.

Wer jetzt Lust bekommen hat oder einfach Bedarf sieht auch mal einen solchen Workshop zu besuchen, der findet alle wichtigen Information und Kontaktdaten auf der Internetseite der ASN Aircraft Safety Network.

Always happy landings!